
Preis für Forschung zu oversprayfreier und selektiver Lackiertechnik
Mit ihrer Forschungsarbeit zur »Ermittlung der Struktur-Eigenschaftsbeziehungen von Lacken für die Applikation mit oversprayfreier und selektiver Lackiertechnik« gewannen Wissenschaftler des Fraunhofer IPA den Otto-von-Guericke-Preis 2023.
Thomas Hess und Franz Balluff von der Abteilung Beschichtungssystem- und Lackiertechnik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) sind am 15. November in Berlin mit dem Otto-von-Guericke-Preis 2023 ausgezeichnet worden. Die beiden Wissenschaftler hatten sich bei der Jury mit einer Arbeit zur »Ermittlung der Struktur-Eigenschaftsbeziehungen von Lacken für die Applikation mit oversprayfreier und selektiver Lackiertechnik« beworben.
Voraussetzungen für effizientes Lackieren ohne Overspray
Im Forschungsprojekt »DigitalPainting« untersuchten Hess und Balluff Lackeigenschaften zur Tropfenerzeugung und erarbeiteten Vorgaben für Lacke und Düsen. Mit ihren Erkenntnissen lässt sich der sogenannte Overspray vollständig vermeiden. Außerdem werden manuelle Prozessschritte wie das schützende Abdecken (Maskieren) überflüssig und Lackierkabinen kompakter und flexibler.
Overspray ist der Teil des Sprühnebels, der beim Lackieren nicht auf dem Werkstück landet. So wird mehr Lack verbraucht als tatsächlich nötig wäre, um eine Oberfläche zu beschichten. Die Folge sind komplexe Reinigungsarbeiten an der betroffenen Oberfläche. Im schlimmsten Fall muss das gesamte lackierte Bauteil entsorgt und der Lackiervorgang wiederholt werden. Ein Lösungsschritt ist die Erzeugung von Einzeltropfen in den Düsen, die den Lack auftragen. Allerdings muss der Lack dazu besondere Voraussetzungen mitbringen. Welche das sind, haben Hess und Balluff nun geklärt.
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Erhebliche Einsparungen beim Lackieren
»Unser Ziel war es, die Physik – von der Tropfenbildung und Applikation bis hin zur Schichtbildung – mit der Chemie, also der Zusammensetzung der Beschichtungsstoffe, zu verbinden und ein wissenschaftliches Fundament in Form von Kennlinien, Lackeigenschaftsprofilen, Düsengeometrien und Prozessparametern zu erarbeiten«, fasst Balluff zusammen. In zahlreichen experimentellen und simulationstechnischen Versuchen testeten er und Hess unterschiedliche Tropfenapplikationsparameter und entwickelten Modelllacke, bei denen die verschiedenen Komponenten variierten, um deren Einflüsse auf die Tropfenbildung zu untersuchen.
»All das zusammen konnten wir in ein Simulationsmodell überführen, das uns ermöglichte, die Einzeleinflüsse von Lack, Lösemittel, Pigment und Additiv herauszuarbeiten«, sagt Hess. Das Ergebnis ist eine umfassende Toolbox für Hersteller von Lacken und Applikationstechnik sowie für Anwender in Lackierbetrieben. »Mit diesem Lackierverfahren können wir unseren Kunden neue Lösungen sowie ein hohes Maß an Individualisierung anbieten – und das Ganze natürlich oversprayfrei«, sagt Max Hertfelder von der Industrielackiererei Hertfelder aus Marbach am Neckar, der selbst am Forschungsprojekt »DigitalPainting« beteiligt war und das Verfahren im Unternehmen anwendet. »Wir brauchen viel weniger Umluft und Absaugung. Lackierkabinen können wegen reduzierter Zuluftanforderungen kompakter und flexibler gestaltet werden. Auch das spiegelt sich auf der Kostenseite sehr positiv wider«, so Hertfelder weiter.
Branchenübergreifendes Interesse am Forschungsprojekt »DigitalPainting«
Koordiniert hat das Forschungsprojekt »DigitalPainting« die Forschungsgesellschaft für Pigmente und Lacke (FPL). Deren Geschäftsführer, Michael Hilt, bezeichnet das Projekt als prototypisch für die Industrielle Gemeinschaftsforschung: »Wir sind in der Lage, hier gleich zwei Technologiefelder zu bedienen: die Lackiertechnik auf der einen und die Lackherstellung auf der anderen Seite.« Das zu kombinieren sei nicht selbstverständlich. »Dadurch schaffen wir für die kleinen und mittleren Unternehmen in den Branchen die Möglichkeit, auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein und nachhaltig eine bunte Welt aufrecht zu erhalten«, so Hilt weiter.
Mit dem Otto-von-Guericke-Preis zeichnet die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen »Otto von Guericke« (AiF) herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Industriellen Gemeinschaftsforschung zugunsten kleiner und mittelständischer Unternehmen aus. Die Jury besteht aus den Mitgliedern des Wissenschaftlichen Rats der AiF. Der Otto-von-Guericke-Preis wird seit 1997 vergeben und ist mit 10 000 Euro dotiert. (OM-12/23)
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