Buchrezension "Lila macht kleine Füsse" - können wir unseren Augen trauen?
Die Selbstverständlichkeit, mit der wir Farben sehen, wenn unsere Augen öffnen, steht meistens einer genaueren Beschäftigung mit Farben im Weg. Gerade im Bereich von Oberfläche ist aber eine intensive Auseinandersetzung notwendig.
Heutzutage werden unter dem englischen Begriff „Appearance“ alle Eigenschaften einer Oberfläche zusammengefasst. Neben Glanz und Struktur ist deren Farbe eine wichtige Komponente, die beurteilt und beschrieben werden soll. Geeignete Farbmessgeräte können objektive Daten liefern. Anders als verbale Farbbeschreibungen wie Intensivblau, Rosenrot, Senfgelb usw. liefern Messwerte eindeutige Möglichkeiten, eine Farbe zu definieren.
Farben gibt es nur bei uns im Gehirn
Genauso wie eine Temperaturangabe wie warm oder kalt subjektive Empfindungen wiedergeben und nur durch ein Thermometer exakt beschrieben wird, wird aus der physikalischen Messung einer Farbe durch Umrechnung ein physiologischer Farbwert. Grundsätzlich gilt, dass alle Vorgänge vor unserem Auge physikalischer Natur sind. Auch das Mischen von Pigmenten in Lack, Kunststoff und ähnlichem gehört wie das Nuancieren hierzu. Dem Auge ist es vollkommen egal, ob das vorgelegte Grün an ein grünes Pigment oder eine Mischung eines gelben und blauen Pigmentes gekoppelt ist. Unser Auge – und damit auch unser Gehirn – kann nicht unterscheiden zwischen einem Orange, welches gemischt und welches nicht gemischt ist. Auch können wir beispielsweise nicht erkennen, dass ein Gelb auch im grünen und roten Spektralbereich reflektiert und diese reflektierten Lichtstrahlen vom Gehirn additiv zu Gelb zusammengesetzt werden.
Alle Vorgänge vor unserem Auge werden über das Farbspektrum beschrieben. Es zeigt die Zusammenhänge zwischen den Lichtstrahlen unterschiedlicher Wellenlänge an. Erstmals wurde das Spektrum von Isaac Newton in seinen Vorträgen und Veröffentlichungen beschrieben. Er zerlegte weißes Licht mit Hilfe eines Prismas in seine Spektralfarbe und konnte diese wieder zu Weiß zusammensetzen. Goethe widersprach dem vehement, kam aber nicht auf die Idee, dass Newton mit Lichtfarben arbeitete. Goethes Farbenlehre beruht auf Reflexionsfarben, d.h. farbige Muster werden beleuchtet und das reflektierte Licht löst bei uns eine Farbempfindung aus.
Die größte Leistung unseres Gehirns besteht in der Fähigkeit, die beiden Endfarben des Spektrums, nämlich Blauviolett und Rot zu einer neuen Farbe zusammensetzen. Purpur existiert nicht im Farbspektrum! Durch das Purpur entsteht der Farbkreis, der die kontinuierliche Änderung der Farben anzeigt. Vom Gelb geht es über Orange, Rot, Lila, Purpur, Blau und Grün wieder zum Gelb. Grundsätzlich gibt es Farben nur bei uns im Gehirn. Alle Vorgänge vor unserem Auge sind physikalischer Natur. Und dass sich Gelb und Blau zu Grün mischen lässt, liegt daran, dass in beiden Ausgangsfarben schon Grün enthalten ist - was wir nicht sehen. Grün bleibt beim Mischvorgang von Gelb und Blau „übrig“. Gelb und Blau lassen sich auch zu Weiß mischen, wenn man ein gelbes und ein blaues Interferenzpigment einsetzt - keine Hexerei, sondern reine Physik!
Das Auge ist das beste Messgerät
Bei der Farbmessung werden die Reflexionen eines Musters erfasst. Diese werden mit genormten Gleichungen mathematisch in Farbwerte umgerechnet. Es können durchaus verschiedene Reflexionskurven gleiche Farbwerte ergeben. Ein Umrechnung von Farbwerten in Reflexionswerten ist deshalb nicht möglich. Grundsätzlich sollte man beim Entwickeln neuer Farbkompositionen und auch beim Nuancieren unbedingt die Reflexionskurven in Betracht ziehen. Aber für alle Methoden gilt immer: Das Auge ist das beste Messgerät und entscheidet!
In seinem neuen Buch „Lila macht kleine Füsse“ stellt Werner Rudolf Cramer viele Phänomene vor unserem Auge und auch hinter dem Auge und im Gehirn vor. Der Inhalt basiert auf vielen Mustern mit Bunt-, Aluminium- und Interferenzpigmenten und deren Mischungen. Die Muster wurden mehrheitlich mit gängigen Lacken nach Vorschrift des jeweiligen Lackherstellers aufgespritzt. Bei einem Teil der Muster wurden Pigmente in Lack auf schwarzweiße Kartons aufgezogen. Alle Muster wurden mit verschiedenen Messgeräten gemessen, teilweise mit mehreren Winkeln, mit einem gerichteten Beleuchtungswinkel oder mit der Kugelgeometrie.
Das Buch ist eine Goldgrube für Jeden, der sich mit Farben - auch beruflich - beschäftigt. Es ist verständlich und anschaulich geschrieben.
Buchautor
Werner Rudolf Cramer, Fachjournalist und freier Berater, Münster
Der Autor beschäftigte sich schon während seines Chemiestudiums mit Farben und Farbmessung. und ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema.
Infos und Bezugsquellen
„Lila macht kleine Füsse“ von Werner Rudolf Cramer
ISBN 978-3-11-079390-1
Verlag De Gruyter, Berlin
176 Seiten mit über 190 Abbildungen
Das Buch ist in allen Buchhandlungen und online erhältlich. Weitere Infos auch unter www.lila.wrcramer.de